Strandgedanken in St. Peter Ording
Ein endloser Strand liegt vor uns – auf insgesamt zwölf Kilometern haben sich Milliarden und Abermilliarden kleiner Sandkörnchen angesammelt und bilden damit den weitläufigen Strand von St. Peter Ording. Strandkiten, Sonnen und Relaxen, Spaziergänge, Muscheln sammeln oder aber Parken, es gibt fast nichts, was man hier nicht machen könnte. Platz ist auf jeden Fall genügend vorhanden.
Das Wetter in der Übergangsphase vom Winter zum Frühling ist noch durchwachsen, eine Mischung zwischen Sonnenstrahlen und Regen, zwischen wolkenlosen und stark bewölkten Himmel, dazu der stetige Westwind vom Meer her. Typisch Nordsee eben, denn das Nordseewetter ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie was man bekommt. Das macht für mich auch den Reiz aus, denn irgendwie gehört das einfach dazu. Wenn ich Sonnenschein von früh bis spät haben möchte, dann würde ich dafür in den Süden fliegen, aber nicht unbedingt an die Küste fahren.
An die Küste fährt man, weil man sie liebt. Und das tue ich. So auch dieses Mal, obwohl der Sommer noch meilenweit entfernt ist. Hauptsache Meer und wieder diese salzige Luft schmecken, den Alltag vergessen. Hand in Hand gehen wir also an den Strand im Norden vom Ortsteil Bad, der auch außerhalb der Saison schnell vom Parkplatz aus erreichbar ist. Mitten hindurch durch den Dünengürtel der SPO umgibt, der See entgegen. Es ist windig, die Hände werden in die Hosentaschen vergraben. Unter meinen Füßen knirscht der Sand, der mit jedem weiteren Schritt eine Spur hinterlässt, die schon bald wieder vom Winde verweht sein wird.
Vergänglichkeit und Veränderungen sind im und am Wattenmeer an der Tagesordnung. Nicht nur Fußspuren verschwinden, auch die Nordsee wechselt ihr Aussehen. Sie kann flache Wellen bringen, aber auch tosende Gischtberge an den Strand spülen – oder aber auch gänzlich verschwunden sein. Dann erwacht das Watt zum Leben – es blubbert und gluckst, egal wo man steht. Wattwürmer hinterlassen ihre markanten Spuren, zarte Pflänzchen erblicken das Tageslicht, von denen man kaum denkt, dass sie das Salzwasser, die Strömung und den Wind hier abkönnen. Dennoch, unterschätzen sollte man das Watt und die Nordsee niemals, auch nicht den weiten und verführerischen Strand.
Meine Fußspur wird länger und länger, in der Ferne erkennt man die markanten Pfahlbauten des Hauptstrandes. Diese haben eine lange Tradition und sind mehrere Meter hoch über dem Strand vor den Nordseesturmfluten geschützt. Wie weit sie entfernt sind vermag ich nicht zu sagen. Mir fehlen Bezugspunkte, um die Distanz realistisch einschätzen zu können. Doch für mich ist das in dieser Situation eher unwichtig. Der Moment zählt, nicht irgendeine Entfernung.
Dieser Moment ist der Moment, der die Küste zu dem macht, was sie ist. Einzigartig und wandelbar. Jede Sekunde ist einzigartig – der Duft der Luft, des Meeres, die Geräusche, der Anblick des über den Strand gewehten Sandes, die Gischtberge der Nordsee und das Gefühl, dem Alltag entflohen zu sein. Mit diesen Gedanken laufe ich weiter, mittlerweile querfeldein in Richtung Wasser. Muscheln liegen am Strand und markieren die Linie, bis wohin die Nordsee bei der letzten Flut ihre Wellen ausgestreckt hat. Kleine Muscheln, große Muscheln, längliche Muscheln, kaputte Muscheln. Zwischendrin auch die eine oder andere Alge sowie Dinge, die die See hier freigibt: Treibholz, Reste von Schiffsleinen und leider auch Plastikflaschen.
Bald wird die Zeit gekommen sein, dass die Sonne den Horizont küsst und sich der Tag seinem Ende zuneigt. Durchgefroren vom stetigen Wind, mit freigepustetem Kopf, neuen Eindrücken und dem erneuten Versuch, Hand in Hand die Momente zu genießen, laufe ich den Strand entlang, zurück zum Dünengürtel. Ab und an löse ich mich und mache das, was die Fotografie macht: ich male mit Licht. Male den Moment, der so vergänglich ist und halte ihn zumindest für ein paar Hundertstel an. Nur eine kurze Zeit, die dafür aber umso stärker wirkt, je mehr man sich auf das konzentriert, was einen umgibt: das Rauschen der Nordseewellen, den salzigen Duft der Luft, den Windhauch auf der wenigen freiliegenden Haut und der Blick über das endlose Meer, bis herüber zum Horizont.
Manchmal braucht man nichts weiter, als einfach nur frische Seeluft. Frische Seeluft, die einem den Alltag wegbläst und den Kopf wieder frei macht für das, was wirklich zählt: Zeit für sich selber.