Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche – Rheinländische Einflüsse in Berlin

Die Kombination aus alten und neuen Gebäuden kann gelingen, muss aber nicht. Bei der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (Spitzname “Hohler Zahn”) in Berlin, in der Nähe des Zoologischen Gartens, bin ich mir unschlüssig – irgendwie gefällt sie mir, andererseits wiederum jedoch nicht. Der Kontrast zwischen den Gebäudeteilen ist mir einfach zu hart, zu sehr unterscheidet sich der neue Teil vom ursprünglichen. Doch das ist gewollt – denn der erste Entwurf Egon Eiermanns, dem Architekten des Neubaus, wurde heftigst kritisiert, da die Ruine der Kirche abgerissen werden sollte.

Das nun zu sehende Ensemble ist das Ergebnis eines Kompromisses, der die historische Ruine in die Mitte des Neubaus nimmt. Aber von Anfang an: der Grundstein des evangelischen Kirchengebäudes wurde am 22. März 1891 gelegt, dem Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. Nach ihm ist die Kirche benannt, die von seinem Nachfolger Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gegeben wurde. Ihr Architekt war der gebürtige Kölner Franz Schwechten.

Bereits 1895 konnte sie eingeweiht werden – mit Einflüssen aus der Heimat Schwechtens. So erinnert der Baustil an die romanischen Kirchen seiner Geburtsgegend und als Baumaterial ließ er Kalksandstein aus der Eifel verwenden, der bis dato in Berlin und Umgebung noch nie verwendet wurde. Ursprünglich besaß die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fünf Türme, von denen heute noch die 71 Meter hohe Ruine des Hauptturmes sowie ein kleinerer Turm steht. 1943 wurde die Kirche durch einen Luftangriff in Brand gesetzt und teilweise zerstört.

Wiederaufbaupläne wurden zunächst von Seiten der Nationalsozialisten gemacht, jedoch durch die Siegermächte vereitelt – das Gebäude erinnerte zu sehr an den wilhelminisch-deutschen Nationalstolz. Bis 1956 zerfiel die Ruine weiter, ein Jahr später wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben – womit wir wieder am Anfang des Artikels wären.

Der zerstörte Hauptturm wurde im zweiten Entwurf als Kriegsmahnmal saniert und blieb erhalten. Egon Eiermann, der Architekt des Neubaus, nahm ihn in die Mitte seiner Pläne und ließ Kirche, Turm, Kapelle und Foyer um ihn herum erbauen. 1959 erfolgte die Grundsteinlegung, nur zwei Jahre später wurde der Neubau bereits eingeweiht.

Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche: neue Kirche, Turmruine, neuer Glockenturm

Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche: neue Kirche, Turmruine (wird saniert), neuer Glockenturm

In der Turmruine befindet sich heute eine Gedenkhalle, die die Geschichte der Kirche dokumentiert. Nicht nur der Fußboden besteht aus einem aufwändigen Mosaik, auch Wände und Decken sind mit Mosaiken verziert. Sie dokumentieren unter anderem das Gottesgnadentum und zeigen einen Kurzabriss über das Leben von Kaiser Wilhelm I. Für Interessierte bietet sich die etwa halbstündige kostenlose Führung (Spenden erwünscht) an, die zu bestimmten Uhrzeiten in der Gedenkhalle beginnt und ihr Ende im Neubau findet.

Gedenkhalle in der Turmruine

Gedenkhalle in der Turmruine

Aufwändiges Mosaik

Aufwändiges Mosaik mit Rissen aus der Nacht der Zerstörung

Der Neubau ist im Vergleich zur Gedenkhalle ziemlich schlicht gehalten – Tageslicht dringt nur mühsam in den Innenraum hinein und taucht ihn in eine mystische, blaue Stimmung. Trotz der Lage mitten in Berlin und an vielbefahrenen Straßen ist kaum ein Ton von draußen zu hören. Durch eine doppelwandige  Fassade, die mit zerbrochenen und neu zusammengesetzten blauen Glasstücken des Künstlers Gabriel Loire aus Chartres gestaltet sind, wird der Straßenlärm und das Tageslicht gefiltert – es ist angenehm ruhig.

Über dem schlicht gestalteten Altar, der ebenfalls von Eiermann stammt (wie auch Kanzel, Kerzenleuchter, Lampen, Stühle und Taufbecken), hängt eine große Jesusfigur, die jedoch nicht der üblichen Darstellung entspricht. Das Gesicht ist eingefallen und zeigt deutliche Spuren eines gealterten Jesus. Es scheint, als sei er gerade auferstanden und fährt in den Himmel hinauf, gleichzeitig segnet er die Menschen mir seinen von Nägeln durchbohrten Händen.

In einer Nische des Kirchenraumes hat die Stalingradmadonna ihren Platz gefunden – ein Bild von Kurt Reuber, der es Weihnachten 1942 im Verlauf der Schlacht um Stalingrad auf die Rückseite einer russischen Landkarte gemalt hat. Reuber nahm als Arzt der Wehrmacht teil und starb 1944 in sowjetischer Gefangenschaft. Sein Hab und Gut gelangte durch einen befreundeteten Offizier, der schwer verletzt aus Russland ausgeflogen wurde, zurück nach Deutschland. 1983 übergab seine Familie das Bild der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche als Erinnerung an die Gefallenen.

Altar der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche

Altar der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche

Stalingradmadonna

Stalingradmadonna

Zum Abschluss noch eine kleine Besonderheit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche: die Außenansicht erinnert mit seinen vielen kleinen Fenstergittern an einen Eierkarton, weshalb Egon Eiermann als Architekt ein “Ei” im Kirchenraum versteckt hat. Es befindet sich rechts vom Altar, in der untersten Fensterreihe.

Das versteckte Ei

Das versteckte Ei

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